Aachen. Junge Menschen für das breite Feld der Erziehungshilfe und ihre vielfältigen beruflichen Facetten zu begeistern, ist das Ziel eines Projekts, mit dem die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW seit einiger Zeit erfolgreich neue Wege in der Fachkräftegewinnung beschreiten. Auch der Caritasverband für das Bistum Aachen e.V. beteiligt sich an dem von der Europäischen Union und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekt "Erziehungshilfe 2.0. macht Spaß!", das mit seiner webgestützten Nachwuchskräfte-Kampagne "CARITÄTER mit Profil" gezielt junge Menschen bis 27 Jahre über das Internet erreichen und altersgerecht ansprechen möchte. Denn Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2025 über 50 % der derzeit noch in den Diensten und Einrichtungen der Erziehungshilfe tätigen Fachkräfte in den Ruhestand gehen werden. Im Wettbewerb um die besten Köpfe muss sich die Sozialwirtschaft also einiges einfallen lassen, um diese drohende personelle Lücke so früh wie möglich zu schließen und für Berufsanfänger als möglichst attraktives Berufsfeld wahrgenommen zu werden.

Zwei, die den Schritt in das große Abenteuer Erziehungshilfe bereits erfolgreich gewagt und ihre Entscheidung bis heute nicht bereut haben, sind die beiden Heinsbergerinnen Miriam Esser (22) und Kathrin Keulen (26). Dabei wäre beiden jungen Frauen lange Zeit gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie ihre Berufung einmal in diesem spannenden und abwechslungsreichen Berufsfeld finden könnten. Im Gegenteil! "Bis zum Abi wusste ich nicht, was ich machen wollte. Ursprünglich wollte ich eigentlich Frisörin lernen", erzählt Keulen, die schließlich durch eine Berufsorientierungsmesse eher zufällig in den Kinder- und Jugendhilfebereich fand. Davor hatte sie bereits diverse Praktika absolviert, hie und da gejobbt, zur Überbrückung - weil sie zunächst keinen Studienplatz bekam - ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Während ihres Studiums zog es sie sogar für zweieinhalb Monate nach Kenia, wo sie in einem Kinderheim weitere wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Und auch ihre Arbeitskollegin Miriam Esser gesteht im Gespräch, dass sie sich eigentlich nie ernsthaft habe vorstellen können, beruflich später einmal etwas näher mit Menschen zu tun zu haben. Ein Praktikum im Rahmen ihrer Ausbildung an der Fachoberschule brachte dann den grundlegenden Meinungsumschwung. "Nach nur einem halben Jahr war mir klar, dass ich nichts anderes mehr machen möchte", erzählt Esser freudestrahlend. Heute arbeiten sie und ihre Kollegin im Haus St. Josef in Eschweiler, einer Einrichtung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Dort sind sie für die Betreuung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen drei und achtzehn Jahren mitverantwortlich.
Gefragt, was sie an ihrem Beruf so besonders spannend findet, muss Esser nicht lange überlegen: "Dass man nie weiß, was am Tag passiert, was einen Neues erwartet. Es ist ein sehr vielfältiger und abwechslungsreicher Beruf. Gerade im Bereich Notaufnahme/Klärungsgruppe geht es häufig auch darum, dass man unterschiedliche Menschen kennenlernt, mit den verschiedensten Menschen zusammenarbeiten muss. Und dass jedes Kind seine ganz individuelle, spannende Geschichte mitbringt." Und diese Lebens- und teilweise auch Leidensgeschichte, die die Kinder und Jugendlichen bei Aufnahme im Haus St. Josef mit sich herum schleppen, ist nicht selten sehr belastend für die kleinen Seelen. Die Betreuer stellt dies im Alltag häufig vor große pädagogische Herausforderungen. "Man muss sich vorher schon gründlich überlegen, ob man so einen Job mit Leidenschaft machen möchte. Das ist eben kein Büro-Job wie jeder andere", empfiehlt Esser.

Viele ihrer Schützlinge sind es von zuhause gar nicht mehr gewohnt, einen geregelten Tagesablauf zu haben oder Verantwortung zu übernehmen. "Das fängt damit an, dass bei uns die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden, dass der Tischdienst gemacht wird, zum Beispiel anschließend die Spülmaschine ein- und ausräumen. Unser Anliegen ist es, den Kindern eben so viel Normalität wie möglich zu bieten. Denn viele der Kinder, die zu uns kommen, sind sträflich vernachlässigt und unterversorgt gewesen. Denen ist so ein strukturierter Tagesablauf einfach überhaupt nicht mehr vertraut. Allein so Dinge wie alles hauswirtschaftlich in Ordnung zu halten, das gibt den Kindern und Jugendlichen Sicherheit, die im Alltag einfach enorm wichtig ist", erzählt Keulen von ihrer Tätigkeit. Entscheidend sei es, eine möglichst positive Beziehung und ein enges Vertrauensverhältnis zu ihren Schützlingen aufzubauen. Mitunter kann es aber dennoch mal dicke Luft geben. Da ist dann auf Seiten der Pädagoginnen neben viel Fingerspitzengefühl gelegentlich auch körperlicher Einsatz gefragt, die Streithähne wieder miteinander zu versöhnen. Meist schon nach kurzer Zeit ist der Ärger bei allen Beteiligten aber wieder schnell verraucht. "Wir betreuen viele sehr viele impulsive Kinder, die häufig nicht wissen, wohin mit ihrer Wut, mit ihren Ängsten oder ihren Gefühlen. Das ist etwas, was diese Kinder bei uns auch lernen, nämlich eine Streitkultur zu entwickeln, die gesund ist und eine Basis zu finden, auf der man Konflikte miteinander konstruktiv austrägt, ohne dass dabei etwas durch die Gegend fliegt oder Türen eingetreten werden", berichtet Keulen weiter. Trotz aller physischen und auch psychischen Belastung, die ihr Job täglich so mitbringt, möchten beide ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen inzwischen nicht mehr missen. "Ich bin jemand, der mit einer gewissen Leichtigkeit an den Job herangeht, ich lass den Stress einfach nicht so an mich herankommen. Ich sehe das schon alles mit einer gewissen Entspanntheit, die auch erforderlich ist, um in unserem Beruf auf die Dauer bestehen zu können. Ich habe halt super viel Spaß an meiner Arbeit. Und wenn man den Kindern vermittelt, dass man gerne zur Arbeit kommt und gerne seine Zeit mit ihnen in der Gruppe verbringt, dann spiegelt sich das auch wider", ist Keulen überzeugt. Sie selbst hat inzwischen das hausinterne Angebot zu einer einjährigen Fortbildung im Bereich Traumapädagogik wahrgenommen und erfolgreich absolviert, mit dem Ziel, vielleicht irgendwann einmal eine verantwortungsvollere Teamleiterstelle im Haus übernehmen zu können. "Man hat dabei in sich Qualitäten entdeckt, von denen man vorher gar nicht wusste, dass sie überhaupt vorhanden sind", schwärmt Keulen. Beide "Caritäter" begrüßen, dass sich die Webauftritte mit der Möglichkeit der Stellenrecherche und das Angebot, über Praktika in die diversen Sozialberufe hineinzuschnuppern, in den letzten Jahren deutlich verbessert haben. "Diese Möglichkeiten sollte man unbedingt nutzen", empfehlen beide. Allerdings würde sich Miriam Esser nach ihren eigenen Erfahrungen wünschen, dass die Einrichtungen und Dienste solche Praktika besser, sprich auch finanziell angemessener honorieren würden, wie dies zum Teil in der Industrie bereits der Fall ist. "Das wäre eine Wertschätzung und Anerkennung, wie wir sie gerade im sozialen Bereich dringend brauchen", wirbt die 22-Jährige. Denn eines steht fest: Zum Nulltarif wird man engagierte und begeisterungsfähige junge Leute für die sozialen Berufe sicherlich nicht gewinnen und dauerhaft bei der Stange halten können.

Weitere Informationen unter www.erziehungshilfe-macht-spass.de
Ansprechpartnerin im DiCV Aachen: Theresia Heimes, Tel. 0241/431-117, theimes@caritas-ac.de.

(mit freundlicher Genehmigung DiCV Aachen)